Über den Nordgrat (IV-) auf den Großvenediger (3.657 m)

Eine der schönsten Grattouren der Ostalpen

Der Nordgrat auf den Großvenediger ist ein imposantes Bergerlebnis. Ungezähmt führt er in der denkbar schönsten Linie auf den fünfthöchsten Gipfel Österreichs. Dank seiner Naturbelassenheit – nur die Schlüsselstelle (IV-) ist mit zwei Ständen und wenigen Bohrhaken abgesichert – gilt der Nordgrat als wilder Bruder des Stüdlgrats auf den Großglockner.

Toureninfos

Tourenbeschreibung Großvenediger Nordgrat

Als ich 2017 am Normalweg den Großvenediger Nordgrat zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich: Irgendwann möchte ich Salzburgs höchsten Berg über diese formschöne Linie besteigen. Sieben Jahre später war es endlich soweit: Gemeinsam mit Gernot, dem Bergführer meines Vertrauens, habe ich mir diesen Wunsch erfüllt.

2017 habe ich so den Nordgrat zum ersten Mal gesehen

Zustieg zur Kürsinger Hütte

Ausgangspunkt der Tour ist die Kürsinger Hütte (2.558 m), die man vom Parkplatz Hopffeldboden (1.075 m) aus durch das lange Obersulzbachtal erreicht (ca. 13,5 km und 1.450 hm). Glücklicherweise lässt sich der Zustieg mit einem Wandertaxi oder dem E-Bike bis zur Materialseilbahn der Kürsinger Hütte verkürzen. Von dort sind es über den Sommerweg nur rund 3 km und 620 hm.

Das Panorama auf der Terrasse der Kürsinger Hütte ist ein Traum. Vor allem Richtung Süden eröffnen sich herrliche Blicke auf die (noch) vergletscherten Dreitausender der Hohen Tauern – allen voran auf den markante Großen Geiger und natürlich den Großvenediger. Wenn das Wetter mitspielt, ein ideales Setting für wunderschöne Sonnenuntergänge. Leider hat es das bei uns nicht, darum gibt es auch keine Fotos davon.

Zustieg zum Nordgrat

Aufgrund der Länge der Hochtour ist beim Großvenediger Nordgrat ein früher Start angesagt. Wir sind um 04:00 Uhr im Schein unserer Stirnlampen aufgebrochen. Zunächst folgt man für etwas mehr als 2 km dem Zentralalpenweg zum Anseilplatz am Obersulzbachkees.

Der Weg zum Anseilplatz – die Bilder sind beim Rückweg entstanden, am Hinweg war es noch dunkel

Danach bleibt man durch die besonders spaltenreiche Zone weiter am Normalweg, bis man ihn auf etwa 2.900 Metern rechter Hand verlässt und auf den Nordgrat zusteuert. Über den steiler werdenden Gletscher steigt man Höhenmeter für Höhenmeter nach oben.

Am unteren Ende des Nordgrats angekommen, hat man wieder Felsen unter den Füßen. Anfangs ist der Grat noch relativ breit und man gelangt flott über blockiges Gehgelände zum eigentlichen Einstieg, der mit einer Stange (3.295 m) markiert ist. Beim Blick nach oben wird schnell klar: Bis zum Gipfel hat man einiges zu tun. Denn der Nordgrat verläuft nicht in einem Aufschwung auf den Großvenediger, sondern ist immer wieder mit „Gegenabstiegen“ gespickt. So kommt man auf insgesamt 550 Höhenmeter, die mit 4,5 Stunden Kletterzeit angegeben sind. 

Der Nordgrat auf den Großvenediger

Grundsätzlich kann der Nordgrat in zwei Teile unterteilt werden:

  1. Teil: Vom oben beschriebenen Einstieg über den Torwächter (3.365 m) und die Keidel-Scharte zur Meynow-Scharte (3.375 m).
  2. Teil: Von der Meynow-Scharte über die Schlüsselstelle (die „böse Platte“) zum Gipfel.
© Screenshot alpenvereinaktiv

Da man auch direkt zur Meynow-Scharte zusteigen kann, klettern viele nur den zweiten Teil. Das kann besonders bei schlechten Verhältnissen eine gute Idee sein. Denn ich habe die Felsqualität im zweiten Teil deutlich kompakter empfunden. Besonders oben raus und in der Schlüsselstelle ist der Grat weniger brüchig als im ersten Teil. Passen Wetter und Verhältnisse, würde ich aber auf jeden Fall den kompletten Grat empfehlen. Fühlt man sich im ersten Teil bereits überfordert oder schlägt das Wetter um, ist die Meynow-Scharte übrigens die einzige Ausstiegsmöglichkeit

Technischer Anspruch und Charakter

Da es am gesamten Grat – abgesehen von der Schlüsselstelle – weder Bohrhaken noch Stände gibt, geht man die meiste Zeit seillos oder am kurzen Seil (wie ich mit Bergführer). Mit Geh- und blockigem Klettergelände, das sich meistens zwischen dem I. – II. Schwierigkeitsgrad bewegt, ist der rein klettertechnische Anspruch meist überschaubar. Was die Tour schwierig macht, sind vielmehr die Wegfindung (es gibt keine Markierungen), die Länge sowie die stellenweise Brüchigkeit des Felsens. Zusätzlich spielt die Höhenlage eine essenzielle Rolle: Sie sorgt nicht nur für dünne Luft, sondern kann auch mit den unterschiedlichsten Verhältnissen die Schwierigkeit des Grats unerwartet beeinflussen. Schneefrei und trocken ist der Nordgrat klarerweise deutlich einfacher und ungefährlicher als vereist oder feucht.

Dass man für eine Grattour wie diese schwindelfrei und trittsicher sein muss, ist selbstverständlich und soll nur der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Der Nordgrat hat immer wieder sehr ausgesetzte Passagen mit spektakulären Tiefblicken!

Blick zurück mitten im Nordgrat
Blick zurück mitten im Nordgrat; der Weg verläuft immer direkt am Grat

Schlüsselstelle der Tour ist die „böse Platte“. Die ansprechende Risskletterei ist mit IV- bewertet. Gut abgesichert, aber mit ordentlich Luft unterm Hintern geht es hier rund 30 Höhenmeter steil nach oben. Bei uns zog im oberen Bereich des Grats eine Wolkenbank herein und der Wind frischte auf.

Mit klammen Fingern war die Passage durchaus anspruchsvoll, aber immer noch gut kletterbar. Hat man die Stelle gemeistert, flacht der Grat wieder ab und es ist nicht mehr weit zum Gipfel, von dem aus man eine herrliche Rundumsicht hat – wenn man nicht wie wir in den Wolken hockt 😉

Gipfelselfie am Großvenediger
Wenig Sicht aber trotzdem happy

Abstieg über den Normalweg

Zurück zur Kürsinger Hütte gelangt man über den Normalweg, den man allerdings mit seinen großen Gletscherspalten nicht unterschätzen darf! Vor allem im Bereich der Venedigerscharte und auf den letzten Metern, im steileren Stück hinunter zum Anseilplatz, ist das Obersulzbachkees extrem zerklüftet. Abgesehen davon, sollte der Abstieg über den Gletscher aber keine Probleme darstellen. 

Fazit

Wild, rau und mit echtem Westalpencharakter zählt der Großvenediger Nordgrat zu den großen Grattouren der Ostalpen. Wer die Tour im Alleingang machen möchte, sollte viel hochalpine Erfahrung mitbringen. Länge, Wegfindung und Felsqualität sind äußerst anspruchsvoll. Nicht umsonst ist die Hochtour als ziemlich schwierig (ZS) kategorisiert. Dass es nur zwei klettertechnisch schwierigere Passagen (III und IV-) gibt, darf nicht vom gesamtalpinistischen Anspruch ablenken!

Blick zum Großvenediger Nordgrat, der sich in den Wolken versteckt
Ein letzter Blick zurück zum Großvenediger Nordgrat, der sich immer noch in den Wolken versteckt

Wenn man die Tour ernst nimmt und das nötige Rüstzeug – oder im Zweifelsfall einen Bergführer – mitbringt, bekommt man hier ein unvergessliches Bergerlebnis geboten. Ich empfehle, zur Akklimatisierung zuvor einen leichten 3.000er zu besteigen, dann werdet ihr deutlich mehr Freude an der Tour haben.

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