Ich möchte dir mit diesem Artikel eine Orientierungshilfe bieten, ob du für den Normalweg auf den Großvenediger (3.657 m) einen Bergführer brauchst. Ich habe aber acht Fragen für dich, die dir bei deiner Entscheidung helfen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Technische Voraussetzungen
- Konditionelle Voraussetzungen
- Brauche ich einen Bergführer?
- Vorbereitung
- Fazit und Bergführerempfehlung
- Tourenberichte meiner Besteigungen
Eine kleine Anmerkung vorab: Den einen Normalweg auf den Großvenediger gibt es nicht. Es führen drei Routen, die man als Normalwege bezeichnen könnte, auf den 3.657 Meter hohen Gipfel. In diesem Beitrag werde ich mich auf die beiden am häufigsten begangenen Varianten konzentrieren. Und zwar den Anstieg von Norden über die Kürsingerhütte (2.558 m) und von Süden über das Defreggerhaus (2.962 m). Beide habe ich selbst gemacht. Zur Vollständigkeit: Der dritte Normalweg führt von Osten durch das Innergschlöß und über die Neue Prager Hütte auf den fünfthöchsten Berg Österreichs.
Technische Voraussetzungen
Beginnen wir mit den technischen Voraussetzungen für eine Besteigung des Großvenedigers. Laut SAC-Skala sind beide Varianten „wenig schwierig“. Das bedeutet im Firn und am Gletscher konkret: „In der Regel wenig steile Hänge, kurze steilere Passagen, wenig Spalten“. Kletterstellen gibt es auf beiden Normalwegen keine.
Der Anstieg über die Kürsingerhütte ist etwas schwieriger (WS) als der Weg vom Defreggerhaus (WS-). Grund dafür ist der 35° steile Aufschwung in die Venedigerscharte. Die Gletscherpassagen vom Defreggerhaus sind vergleichsweise flach und werden nie so steil.
Zusammengefasst musst du am Normalweg auf den Großvenediger folgende Schlüsselstellen überwinden:
- Von der Kürsingerhütte aus die Steilstufe (35°) in die Venedigerscharte.
- Auf beiden Wegen den – je nach Verhältnissen mal mehr mal weniger schmalen – ausgesetzten Firngrat zum Gipfel. Hier herrscht Absturz- und Mitreißgefahr!
Abgesehen davon sind beide Normalwege technisch einfach. Was man trotzdem keinesfalls unterschätzen darf, sind die Gletscherspalten am Großvenediger. Sowohl am Obersulzbachkees (von Kürsingerhütte) als auch am Mullwitzkees (vom Defreggerhaus) führt der Weg durch Spaltenzonen. Du musst also unbedingt den richtige Umgang mit Gletscherausrüstung und Techniken zur Spaltenbergung beherrschen. Bitte zusätzlich beachten: Bei Nebel kann die Orientierung am weitläufigen Gletscherplateau rund um den Großvenediger schnell sehr schwierig werden.
Konditionelle Voraussetzungen
Konditionell verlangt dir der Großvenediger einiges ab. Teilt man die Touren aber auf zwei Tage auf und nimmt das Wandertaxi als Unterstützung beim Hüttenzustieg, sollten sie mit einer guten Grundkondition machbar sein.
- Über die Kürsingerhütte muss man insgesamt rund 1.900 hm im Auf- und Abstieg und 19 km Distanz überwinden (in der kürzesten Variante, wenn man das Wandertaxi zur und von der Materialseilbahn nimmt).
- Über das Defreggerhaus muss man insgesamt rund 1.600 hm im Auf- und Abstieg und 17 km Distanz überwinden (in der kürzesten Variante, wenn man das Wandertaxi zur und von der Johannishütte nimmt).
Bitte bedenk trotzdem: Höhenmeter am Großvenediger mit Hochtourenrucksack fühlen sich anders an, als bei Touren mit Wanderrucksack auf einen 2.000er. Das Gesamtgewicht der Ausrüstung plus Verpflegung hat schnell mal zehn Kilo und die Luft über 3.000 Meter ist merklich dünner 😉 Dementsprechend ist hier alles deutlich anstrengender.
Brauche ich jetzt einen Bergführer oder nicht?
Aber nun zur Frage, warum du vermutlich auf diesem Beitrag gelandet bist. Um sie zu beantworten, möchte ich dir acht Gegenfragen stellen: Wenn du alle ehrlich mit „Ja“ beantworten kannst, kannst du den Großvenediger ohne Bergführer andenken:
- Hast du Erfahrung im hochalpinen Gelände?
- Beherrscht du eine solide Tourenplanung?
- Bist du schwindelfrei und 100 % trittsicher?
- Kannst du sicher mit Steigeisen (um)gehen?
- Traust du dir Steilstufen bis 35° Steilheit zu?
- Beherrscht du die für eine Gletscherbegehung nötigen Seiltechniken sowie Techniken zur Spaltenbergung?
- Besitzt du das nötige Equipment für eine hochalpine Gletschertour und kannst damit umgehen?
- Weißt du, was bei einem hochalpinen Notfall zu tun ist?
Bist du dir unsicher oder musst eine dieser Fragen mit „Nein“ beantworten, dann würde ich dir auf jeden Fall einen Bergführer empfehlen.
So habe ich mich auf den Großvenediger vorbereitet
Bevor ich den Großvenediger ohne Bergführer gegangen bin, habe ich zwei Hochtourenkurse beim Alpenverein absolviert. Außerdem hatte ich schon viel alpine Erfahrung auf schwierigeren Hochtouren mit Bergführer (z. B. Ortler oder Biancograt) gesammelt und viele komplexe Berg- und Hochtouren alleine unternommen.
Apropos Vorbereitung: Auf meiner 360°-Tour kannst du den Normalweg über das Defreggerhaus (und weiter über die Venedigerkrone) digital nachgehen und bekommst so schon mal einen guten Eindruck davon:
Fazit und Bergführerempfehlung
Ich hoffe, dass ich dir bei deiner Entscheidung helfen konnte. Zum Schluss möchte ich dir noch mitgeben, dass der Großvenediger trotz allem ein ernst zu nehmender Berg ist, der nicht unterschätzt werden darf – vor allem war die Gletscherspalten anbelangt. Wenn du dir unsicher bist, buche auf jeden Fall einen Bergführer, damit du dieses landschaftliche Highlight voll und ganz genießen kannst. Es zahlt sich aus!
Ich kann euch den großartigen Gernot Lachmaier empfehlen, mit dem ich selbst immer wieder gerne in Bergen unterwegs bin. Er hat mich auch bei dem Beitrag unterstützt und die Richtigkeit der Fakten gecheckt.
Weiterlesen: Berichte meiner Großvenediger Touren
Großvenediger über Kürsingerhütte
Der Großvenediger ist dank seiner gutmütigen Flanke über den Normalweg relativ einfach zu besteigen.
Venedigerkrone über Defreggerhaus
Möchte man diesen Hochtourenklassiker erweitern, kann man ihn mit dieser Runde krönen.